Not leidende Unternehmen
Das neue Aktienrecht tritt per 1. Januar 2023 in Kraft. Es enthält zahlreiche Neuerungen für Kapitalgesellschaften. Neu ist die “drohende Zahlungsunfähigkeit” ins Gesetz (Obligationenrecht Art. 725) aufgenommen worden. Generell kann gesagt werden, dass die Finanzverantwortung des Verwaltungsrates steigt.
Situation und Massnahmen bei Not leidenden Unternehmen
Die Aktienrechtsrevision hat das Thema “Liquidität der Gesellschaft” in den Mittelpunkt gestellt. Als Verwaltungsrat oder Inhaber eines Unternehmens ist es entscheidend über die Themen Bescheid zu wissen, um eine allfällige Verantwortlichkeitsklage bei einer Missachtung zu vermeiden.
Das Aktienrecht unterscheidet neu folgende Situationen und Massnahmen bei Not leidenden Unternehmen:
- Drohende Zahlungsunfähigkeit (OR 725)
- Kapitalverlust (OR 725a)
- Überschuldung (OR 725b)
- Aufwertung von Grundstücken und Beteiligungen (OR 725c)
Drohende Zahlungsunfähigkeit
Der Verwaltungsrat ist neu zur Überwachung der Zahlungsfähigkeit der Gesellschaft verpflichtet. Droht die Gesellschaft zahlungsunfähig zu werden, so muss der Verwaltungsrat Massnahmen zur Sicherstellung der Zahlungsfähigkeit ergreifen. Er handelt dabei mit “gebotener Eile”. Anzeichen für eine drohende Zahlungsunfähigkeit sind z.B.:
- Verspätete/spätere Zahlung von Gehältern
- Erstreckung von Zahlungsfristen von Kreditoren von 30 auf 40 oder 50 Tage
- Stärkeres oder vollumfängliches Ausnützen von Kontokorrentlimiten
- Negativer Cashflow aus Geschäftstätigkeit
Nach bisherigem Recht war dem Verwaltungsrat erst bei einem Kapitalverlust eine konkrete Handlungspflicht auferlegt worden. Das neue Gesetz führt dazu, dass der Verwaltungsrat früher Sanierungs- und Liquiditätssicherungsmassnahmen in die Wege leiten muss!
Kapitalverlust und wichtige Sonderregelung für Gesellschaften ohne Revisionsstelle
Weist die Jahresrechnung einer Gesellschaft einen Kapitalverlust nach OR 725a aus, so entfällt neu die sofortige Einberufung einer Generalversammlung durch den Verwaltungsrat. Der Verwaltungsrat hat jedoch Massnahmen zur Beseitigung des Kapitalverlustes zu ergreifen.
Ein Kapitalverlust liegt vereinfacht dann vor, wenn die Hälfte des Aktienkapitals und der gesetzlichen Reserven nicht mehr gedeckt sind. Rangrücktritte verhindern eine Überschuldungssituation gemäss Gesetz nicht; sie verhindern “nur” den Gang zum Richter.
Untersteht die Gesellschaft keiner Revision (sog. Opting out), muss die letzte Jahresrechnung vor ihrer Genehmigung durch die Generalversammlung einer eingeschränkten Revision unterzogen werden! Sollte eine nicht revidierte Jahresrechnung von der Generalversammlung abgenommen werden, kann das zu einer Nichtigkeit des Beschlusses führen.
In der Praxis sind teilweise Gesellschaften durch Aktionärsdarlehen mit Rangrücktritt finanziert und weisen gleichzeitig einen Kapitalverlust aus. Auch diese Gesellschaften müssen sich eine Revisionsstelle suchen! Das kann sich in der Praxis als schwierig erweisen, weil diese Prüfungen risikoreicher sind und der “Treuhänder des Vertrauens” aus Unabhängigkeitsgründen teilweise das Mandat gar nicht annehmen darf.
Was passiert in der Praxis, wenn es bei einem Unternehmen mit Opting out nicht gelingt, eine Revisionsstelle zu finden?
Diesen Fall regelt das Gesetz nicht. Grundsätzlich kann ein Kapitalverlust nur beseitigt werden, wenn der entsprechende Abschluss vorschriftsgemäss revidiert wurde. Allerdings ist es möglich, dass Massnahmen ergriffen werden, ohne dass eine Revisionsstelle beigezogen wird. Sofern der Umstand nicht z.B. durch Steuerbehörden oder andere Beteiligte zur Anzeige gebracht wird, dürften solche Vorgänge unentdeckt bleiben.